Nina Siegal hört als Kind auffallend wenig über die Geschicke ihres Großvaters im 2. Weltkrieg. Er war holländischer Jude und starb im Zuge des Holocausts, aber in Siegals Familie wurde darüber wenig gesprochen. Juden in Holland gehen seit dem 2. Weltkrieg sehr schüchtern mit ihrer Identität um, was zur Aussage führt, „The Dutch Jews are still in hiding.“ Als später auch andere Verwandte starben, blieben Siegal nur ein paar Fakten (wo wohnte er, wann wurde er geboren usw.) und Fotos, das Wie des Lebens ihres Großvaters, aber nicht das Warum.
Während eines Stipendiums, das sie für ein anderes Buch für einen längeren Zeitraum nach Holland führte, stößt sie im NIOD, einem niederländischen Institut für Krieg, Holocaust und Genozigstudien, auf Tagebuchsammlungen von Menschen, die während des Kriegs ihre Beobachtungen festhielten. Dies zu tun, war sogar eine Aufforderung der in London im Exil Lebenden holländischen Königin, die sie im Radio aussprach. Auf diese Aufforderung zum Notizen machen über die Besatzungszeit nimmt sogar Anne Frank in ihrem Tagebuch Bezug, das nach dem Krieg Teil dieser Sammlung und berühmt werden sollte.
Denn rückblickend, so Nina Siegal, ist Geschichte einfach. Wir wissen, was passieren wird, und oft auch, was gut und richtig und böse und falsch sein wird. Aber für die Tagebuchschreiber/innen steht der Ausgang der Geschichte noch nicht fest. Sie sitzen, wie Siegal es nennt, auf dem Wellenkamm der Geschichte und die Lektüre ihrer Notizen macht diese Unbestimmtheit der Geschichte somit erlebbar.
Hier in diesem Buch sind dann also Tagebücher von sieben Leuten gegenüber gestellt. Einige, wie z.B. Elisabeth van Lohuizen, verstecken Juden, andere sind versteckte Juden, oder von Juden, die in Lagern landeten, wie z.B. Philip Mechanicus. Es gibt aber auch Abschnitte eines Tagebuchs eines Polizisten, der Juden jagt, Douwe Bakker, und die Notizen einer Frau eines holländischen SS-Offiziers.
Siegal schiebt zwischen die Tagebücher erklärende Kapitel, was ausserhalb der Tagebücher zu jener Zeit geschah, und ausserdem einige persönliche Kapitel, wie sie den Tagebüchern auf die Spur kam, wen sie interviewte und was sie erlebte und dachte, als sie die niederländischen Lager z.B. in Westerbrook besuchte.
Nach dem Krieg kam die Debatte auf, was normale Holländer wussten und was sie hätten tun sollen. Es wird dabei so getan, als ob niemand etwas hätte wissen können, wie Nina Siegal beschreibt. Dabei war vom Genozid an den Juden alles sichtbar bis auf die Todeslager am Ende, bis auf die Gaskammer selber. Aber die Judensterne, die Berufsverbote, die Gewalt und das Ausstoßen aus der Gesellschaft, die Abreisen in angebliche Arbeitslager, wobei aber auch Kleinkinder, Kranke und sehr alte Menschen abtransportiert wurden, die leer stehenden Wohnungen und die verteilten Möbel, Diamanten und Gemälde, all dies war bekannt und nicht zu ignorieren. Wie F. Zawrel (zu sehen z.B. im Deutschen Theater in Berlin, im Theaterstück F. Zawrel - Erbbiologisch und sozial minderwertig) beschreibt, haben sogar Kinder Witze übers KZ gemacht - wie denn nur, wenn niemand es gewusst haben will?
Die Niederländer haben damals nach dem Krieg gerne so getan, als ob sie alle im Widerstand waren. Wie die Tagebücher in The Diary Keepers zeigen, waren sie das nicht. Daher ist es heute wieder umso wichtiger, sich diese sehr persönlichen Zeitzeugen anzuhören und zu lesen, um nicht zu vergessen, wie schnell es gehen kann.